Vulkan Tembora stürzte Deutschland 1816 in die Hungerkrise

Verfasst von: Thomas Krytzner
Die Ausstellung im Freilichtmuseum zeigt den Umgang mit der Hungekrise
Die Ausstellung im Freilichtmuseum zeigt den Umgang mit der Hungekrise  Bild: Thomas Krytzner
Der Vulkan Tembora liegt 12.000 Kilometer entfernt in Indonesien. Sein gewaltiger Ausbruch im Jahr 1816 führte in Deutschland zur Hungersnot. Zum Teil mussten die Bürger in Deutschland das Mehl mit Sägespänen, Kartoffelschalen oder Moos strecken, um wenigstens einmal am Tag Brot esse zu können. Die Dauerausstellung befasst sich mit der Krise und zeigt, wie König Wilhelm I. und Zarentochter Katharina Pawlowna schließlich Linderung brachten und die Landwirtschaft förderten.

Beuren (kry) - Die Museumsleiterin, Steffi Cornelius, stellt die beiden Schöpfer der neuen Ausstellung vor. Annika Schröpfer und Daniel Hildwein hatten sich während ihres Volontariats im Freilichtmuseum Beuren eingehend mit der Hungersnot im Jahr 1816 beschäftigt und das Thema in eine Dauerausstellung verpackt. „Damit hatten die beiden eine Punktlandung, denn die Eröffnung fällt mit ihrem letzten Arbeitstag zusammen“, berichtete Steffi Cornelius. Sie erklärte, dass das sogenannte Doster-Haus – ein Wohn-Stall-Haus aus Beuren – für das Thema „Hungerbrot und Fruchtsäule prädestiniert sei. Das Haus wurde 1980 in Beuren abgebaut und im Freilichtmuseum neu errichtet.

Hungermarken zeugen von der Not Anfang des 19. Jahrhunderts. (Bild: Thomas Krytzner)

Dr. Jürgen Weisser, der Leiter des Deutschen Landwirtschaftsmuseums in Hohenheim, vertiefte die damalige Hungerkrise in seinem Vortrag. Dabei stellte sich heraus, dass es beim 12 000 Kilometer entfernten Vulkan Tambora in Indonesien zu gewaltigen Eruptionen kam. „Rund 150 Milliarden Tonnen Gestein und Asche wurden dabei ausgeworfen und der Vulkan war danach rund eineinhalb km kleiner“, sagte Jürgen Weisser. Damals wusste man in Baden-Württemberg nichts von der Naturkatastrophe, aber die Folgen waren drastisch. „Niedrigere Temperaturen, Verkürzung der Vegetation und anhaltende Niederschläge führten zur Hungersnot im Ländle.“ Der Vulkanausbruch hatte weltweit Folgen: Die Kartoffelernte fiel praktisch aus, weil die Knollen nur noch schwammig waren. In Deutschland blieb durch die Asche in der Atmosphäre die Ernte aus und das Schlacht- und Milchvieh hungerte.

Das Mehl fürs Brot wurde damals mit Sägespänen gestreckt. (Bild: Thomas Krytzner)

Es bahnte sich eine menschliche Tragödie an, wie der Chef des Landwirtschaftsmuseums erzählte. „Die Notvorräte waren schnell verbraucht und die Lebensmittel wurden immer teurer. Dadurch konnten sich die Bürger bald nur noch Brot leisten.“ Die Folgen waren Mundraub und Diebstahl. Wie Weisser in seinem Vortrag erwähnte, bildeten sich Räuberbanden, während sich das Bürgertum immer weiter verschuldete und Besitz verkaufen musste. Da auch kaum noch genügend Getreide vorhanden war, streckten die Hungernden das Mehl mit Sägespänen, Kartoffelschalen und Moos, um wenigstens ein wenig Brot als Nahrung zu haben. Das gesamte soziale Netzwerk fiel in der Hungerkrise zusammen und der damalige König, Friedrich I. hatte, Jürgen Weisser, zufolge, keine Sensibilität für die Not im Land. „Es kümmerte ihn nicht.“

König Wilhelm I. brachte Linderung in die Hungersnot. (Bild: Thomas Krytzner)

Obwohl die Bürger in einem offiziellen Schreiben androhten, „je mehr Armut und Hunger, umso weniger Zucht und Ordnung“, saß der damalige Herrscher die Katastrophe aus. Erst nach seinem Tod war der Hunger auch Thema für die Obrigkeit. Das Königspaar Wilhelm I. und Zarentochter Katharina Pawlowna brachten die herbeigesehnte Linderung der Hungerkrise. Während Wilhelm I. sich für den Ausbau der Landwirtschaft stark machte, kümmerte sich Katharina um die Armen. In dieser Zeit gründeten sich Wohlfahrtsvereine, die sich im heutigen Wohlfahrtswerk wiederfinden. „Die Hungerkrise war Anlass zur Förderung der Landwirtschaft. Der Hebel musste bei den Bauern angesetzt werden.“ Dazu hob der neue König die Leibeigenschaft auf und startete eine nie dagewesene Bildungsoffensive.

Mit neuzeitlichem Spielzeug wird auf die Hungersnot hingewiesen.
Melina hört sich Texte von Zeitzeugen der Hungersnot an.
Museumschefin, Steffi Cornelius im Gespräch mit Besuchern.

Im Jahr 1817 gründete sich der Landwirtschaftliche Verein, der seit der Gründung jedes Jahr ein Fest in Bad Cannstatt feiert. Der Museumschef erklärte weiter, dass der Monarch im Ausland Rinder und Merinoschafe einkaufen ließ. „Er wollte König der Landwirte sein.“ Ein Meilenstein gelang König Wilhelm I. mit der Gründung der ersten staatlichen Forschungs- und Förderanstalt für Landwirtschaft. Der Pädagoge Johann Nepomuk von Schwerz wurde zum ersten Leiter des Lehrbetriebs. „Daraus entstand 1819 die Hohenheimer Ackergerätefabrik.“ Bald kamen aus nah und fern Gesandte und Hoheiten nach Hohenheim.

Steffi Cornelius, Annika Schröpfer und Daniel Hildwein (v.l.) (Bild: Thomas Krytzner)

„Aber wie sollten im Jahr 1820 die Ackermaschinen in ferne Länder transportiert werden?“ Auch dafür hatten die Pioniere, laut Weisser, eine patente Lösung: „Die Erfinder bauten Modelle und diese konnten dann leicht nach Hause gebracht und dem Schlosser vorgelegt werden.“ Jürgen Weisser zeigte den staunenden Gästen ein Bild einer historischen Kartoffelerntemaschine – damals Siebkettenroder genannt – und wusste: „Die damalige Technik steckt heute in den modernen Geräten.“ Nach den Ausführungen des Leiters des Deutschen Landwirtschaftsmuseums führten die Organisatoren der Ausstellung, Annika Schröpfer und Daniel Hildwein, in die gezeigten Zeichnungen und Exponate im Beurener Doster-Haus ein. Die Ausstellung „Hungerbrot & Fruchtsäule“ ist eine Dauerausstellung im Freilichtmuseum Beuren. Weitere Informationen gibt es im Internet unter der Adresse www.freilichtmuseum-beuren.de.

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