Canyoning - Lebensgefahr oder Abenteuer pur?
Bekanntlich soll man ja alles selber ausprobieren, bevor man sich ein Urteil über gewisse Dinge bildet. Da dies genau meiner Lebenseinstellung entspricht, habe ich mich unvoreingenommen selber in das Abenteuer Canyoning gestürzt. Als Geburtstagsgeschenk flatterte ein Gutschein eines Veranstalters in meine Hände. Ein weiteres Abenteuer, dem ich aufgeregt entgegenfieberte. Gemeinsam mit einer Freundin brach ich an einem sonnigen Juni-Tag auf ins Tessin. Im Vorfeld haben wir die Sicherheitshinweise studiert und dem Veranstalter mitgeteilt, dass wir beide keinerlei Klettererfahrung mitbringen, aber gute, durchschnittliche Sportlerinnen sind. Demzufolge buchte man uns auf den Anfänger-Trail. Mein Kamerateam habe ich gleich mitgenommen, um von der Tour ein Video zu produzieren.
Dort angekommen, teilte man uns mit, dass der besagte Anfänger-Trail leider kurzfristig wegen Überflutung gesperrt wurde. Die Enttäuschung war natürlich gross. Zumal wir sogar extra noch das Kamerateam aufgeboten hatten. Gemeinsam mit dem, nur Englisch-sprechenden Guide, entschieden wir, den letzten Abschnitt des Profi-Trails zu gehen, da dieser zwar kurz wäre, aber vom Schwierigkeitsgrad dem des Anfänger-Trails entspräche. Der Kameramann könnte auch von einem sicheren Ort aus filmen. Gesagt, getan. Wir wurden in Neoprenanzüge gesteckt, bekamen den Klettergürtel sowie spezielle Schuhe in die Hand gedrückt und marschierten frohen Mutes los. Leider fand der Guide die richtige Stelle zum Einstieg nicht auf Anhieb, so dass wir bereits einen kleinen Umweg machen mussten.
Nach fast einer halben Stunde Suchen, sind wir dann doch am richtigen Einstieg angekommen und wurden erstmalig in die Geheimnisse der Ausrüstung eingeführt. Unser Kameramann positionierte sich an einem sichern Ort und bereitete sich für die Filmaufnahmen vor. Jetzt, mit dem Guide an unserer Seite, den Kameramann gesichert, die Ausrüstung festgezurrt, konnten wir endlich unser Abenteuer geniessen und fühlten uns sicher. - Weit gefehlt - Dass uns dieser Canyon zum Verhängnis werden würde, hätten wir zu diesem Zeitpunkt niemals für möglich gehalten. Welch ein fataler Trugschluss.
Das erste Abseilmanöver war noch recht holprig, da wir ja beide keinerlei Erfahrung hatten. Ein leichtes Unbehagen beschlich mich, als ich an der Felswand herunterblickte und dann wieder hinauf, an dem dünnen Seil entlang, an dem mein Leben hing. Ich versuchte mich zu entspannen und dachte mir, dass dies schon so viele Leute vor mir geschafft haben. Dann schaffe ich das ja wohl auch. Schliessich war ich gesichert. - Auch hier weit gefehlt- Mich beschlich ein mulmiges Gefühl. Was, wenn der Guide ausrutscht und mich nicht mehr halten kann? Was, wenn ich an den rutschigen Felsen anschlage?
Nie hätte ich gedacht, dass ich wenige Minuten später um mein Leben kämpfen würde. Die nächste Hürde, die wir nahmen, war eine etwa dreissig Meter hohe Felswand mit tosendem Wasserfall. Allein dort hinunter zu schauen, war schon ein Abenteuer für sich. Ich wurde zuerst abgeseilt. Leider wurde ich aber nicht neben dem Wasserfall heruntergelassen, sondern direkt am Rand. Ich schluckte Wasser von oben, von der Seite und von unten. Meine Füsse fanden keinen Halt und die Hände griffen bei jedem Versuch ins Leere. Unten angekommen, sollte ich das Seil lösen, zu einem erhöhten Felsvorsprung schwimmen, der nicht weiter, als fünf oder sieben Meter entfernt war und dort warten.
Leichter gesagt, als getan. In dem Moment, als ich das Seil löste, spürte ich den Sog unter mir. Schnell weg hier, war mein einziger Gedanke. Aber es gelang mir nicht. Ich kam kaum von der Stelle und spürte, bereits die Erschöpfung. Das Ganze war wohl doch anstrengender, als ich vermutet hatte. Der Sog drückte mich in Richtung Felswand und zog mich gleichzeitig in die Tiefe. Meine Kräfte schwanden sekündlich. Bis jemand mich hätte erreichen können, würden sicherlich vier bis fünf Minuten vergehen. So lange würde ich nicht durchhalten, das war mir in diesem Augenblick klar. Meine Hände versuchten verzweifelt, eine Stelle an der Felswand zu finden, hatten aber keine Chance.
Wie in einem Kanalschacht. Nein, hier wollte ich nicht sterben! Trotz der schwindenden Kräfte und der Kälte, die mich lähmte, stiess ich mich mit beiden Füssen am Felsen ab und legte alles, was ich noch an Kraft aufbieten konnte, in zwei Armzüge. Das war meine einzige Chance, noch eine würde ich nicht mehr bekommen. In meiner Jugend war ich eine hervorragende Schwimmerin, vielleicht würde mir das helfen. Tatsächlich schaffte ich es bis an den Rand des Sogs und konnte mit ein paar weiteren Armzügen den Rand des Felsvorsprungs erreichen. Nur mit meinen Fingerkuppen krallte ich mich verzweifelt an den Rand. Das Wasser riss an meinen Beinen.
Meine Freundin seilte sich nun ebenfalls ab. Angst überkam mich, sie würde das gleiche erleben, wie ich nur ein paar Minuten zuvor. Doch sie hatte mehr Glück, da der Guide sie an einer anderen Stelle abgeseilte und sie dadurch nicht in den Sog kam. Aber auch sie hatte grosse Mühe, den Felsvorsprung zu erreichen. Beide zogen wir uns auf eine kleine trockene Stelle und warteten auf unseren Guide. Die Ruhe, die er bis dahin ausstrahlte, war wie weggeblasen. Sein Seil verfing sich am Fels. Er wurde nervös. Nach einigen Minuten, die uns wie Stunden vorkamen, hatte er sein Seil endlich gelöst. Wir halfen ihm beim aufrollen.
Beide waren wir nun an dem Punkt angelangt, an dem man sich fragt, was für einen Bullshit man gerade macht. In was für eine Gefahr hatten wir uns begeben? Hiess es nicht, es sei ein geprüfter Anbieter? Ein paar Tage zuvor, absolvierte ich noch einen Tandemsprung aus 4'000m Höhe... da werde ich doch wohl die kleinen Felsen bezwingen können, dachte ich mir. Weit gefehlt - wir waren beide am Ende unserer Kräfte. Der Guide teilte uns auf die Frage mit, ob wir die Tour abbrechen könnten, dass wir nur mit einem Hubschrauber aus der Schlucht kommen würden. Wir mussten also die letzten Hürden noch meistern. Welch rosige Aussichten.
Einen Hubschrauber zu ordern wäre mir nun doch etwas zu weit gegangen und so entschieden wir, die letzten beiden Hürden noch zu nehmen. Es handelte sich um zwei sogenannte "Rutschen". Die erste war etwa 20-25m lang und die zweite nur noch ca. 5m. Das ist ja wohl zu schaffen, dachte ich. Wie oft bin ich schon mit meinen Kids im Freibad die Wasserrutsche herunter gerutscht. Gesagt - getan. Der Guide zog mich an meinem Gurt an die vermeintlich richtige Stelle und liess mich dann los. Ich rutschte - geradewegs mit voller Wucht 20 Meter tief auf einen Felsvorsprung. Meiner Lichter gingen aus. Er hatte mich zu weit rechts starten lassen.
Glücklicherweise stand unser Kameramann in der Nähe und sah, dass es mir anscheinend gar nicht gut ging. Wäre er nicht gewesen, wäre ich so schnell nicht aus dem Wasser gekommen. Meine Freundin startete zum Glück an der richtigen Stelle und hatte keine Probleme, die Wasserrutsche zu bewältigen. Nach dieser Erfahrung, kann ich nur jedem raten, die Agentur gründlich zu prüfen und mindestens zwei Guides dabei zu haben. Einer, der voraus geht und im Notfall helfen kann, der andere, der von oben absichert. Vielleicht wäre mir dann einiges erspart geblieben. Dennoch möchte denjenigen nicht den Spass nehmen, eine solche Tour zu buchen. Aber bekanntlich ist Vorsicht besser, als Nachsicht!